Die petrochemische Industrie steht vor einer ähnlichen Herausforderung wie die Energiewirtschaft: Während fossile Rohstoffe eine Kohlenstoff-Einbahnstraße darstellen, ermöglichen nachwachsende Rohstoffe einen geschlossenen Kreislauf. Dieser Beitrag zeigt, wie sich aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Kunststoffe in den natürlichen Kohlenstoffzyklus einfügen und welche Vorteile sie für Unternehmen bieten.
Der Kohlenstoffkreislauf in der Natur: Grundlagen und Standards
Der natürliche Kohlenstoffkreislauf als Vorbild
Der Kohlenstoffzyklus in der Natur funktioniert nach einem eleganten Prinzip: Pflanzen binden während ihres Wachstums Kohlendioxid (CO₂) aus der Atmosphäre durch Photosynthese und wandeln es in Biomasse um. Wenn diese Biomasse später verwertet wird – sei es als Energieträger oder als Rohstoff für Materialien – wird das zuvor gebundene CO₂ wieder freigesetzt. Entscheidend ist: Es gelangt nur so viel CO₂ in die Atmosphäre, wie die Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommen haben.


Der geschlossene Kohlenstoffkreislauf in der Natur als Vorbild für nachhaltige Wirtschaftskreisläufe
Dieser geschlossene Kreislauf ist die Grundlage für klimaneutrale Wirtschaftsweisen. Im Gegensatz zu fossilen Rohstoffen, bei denen über Millionen Jahre gebundener Kohlenstoff innerhalb kürzester Zeit freigesetzt wird, arbeiten regenerative Systeme im Einklang mit den natürlichen Stoffkreisläufen.
Standards für die Emissionsbilanzierung
Um die Klimawirkung von Produkten und Unternehmen systematisch zu erfassen, haben sich international anerkannte Standards etabliert. Diese ermöglichen eine vergleichbare und transparente Bewertung des Carbon Footprints (CSRD/ESRS im Sinne der Berichtspflicht wird hier nicht betrachtet):
GHG Protocol (Greenhouse Gas Protocol)
Das GHG Protocol ist der weltweit am weitesten verbreitete Standard für die Berechnung von Product Carbon Footprints (PCF) und Corporate Carbon Footprints (CCF). Es bietet detaillierte Vorgaben insbesondere für Scope 3 – die indirekten Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Gerade für Unternehmen mit komplexem Produktportfolio ist dieser Standard besonders geeignet, da er keine Zertifizierung erfordert, aber dennoch international anerkannt ist.
ISO 14064-1 (Corporate Carbon Footprint)
Diese Norm fokussiert auf die Treibhausgasbilanz von Organisationen und bietet den Vorteil der Zertifizierbarkeit. Sie ist kompatibel mit dem GHG Protocol, allerdings weniger detailliert. Scope 3 ist hier optional, was die Implementierung vereinfacht, aber auch die Aussagekraft einschränkt, wenn es ausgeklammert wird.
ISO 14067 (Product Carbon Footprint)
Diese Norm konzentriert sich auf die Klimawirkung einzelner Produkte über ihren gesamten Lebenszyklus. Sie fordert präzise Definitionen von Systemgrenzen und Datenqualität, einschließlich Lieferketten-Nachweisen. Der Aufwand ist höher als beim GHG Protocol, dafür ist eine Zertifizierung möglich.
Kernaussage: Die Wahl des Standards hängt von Ihren Zielen ab: Das GHG Protocol eignet sich für umfassende interne Steuerung, während die ISO-Normen bei Zertifizierungsbedarf die richtige Wahl sind. Ergänzende Rahmenwerke wie die Science Based Targets Initiative (SBTi) erhöhen die Glaubwürdigkeit von Klimazielen und der VCMI Scope 3 Code of Practice bietet praktische Hilfestellungen für die Umsetzung.
Die fossile Einbahnstraße in der Energiewirtschaft
Warum fossile Energieträger keine Kreislaufwirtschaft ermöglichen
Im Gegensatz zum natürlichen Kohlenstoffkreislauf stellen fossile Energiequellen eine Kohlenstoff-Einbahnstraße dar. Kohle, Erdöl und Erdgas enthalten Kohlenstoff, der vor Millionen Jahren durch geologische Prozesse gebunden und der Atmosphäre dauerhaft entzogen wurde. Bei der Verbrennung dieser fossilen Rohstoffe wird dieser „alte“ Kohlenstoff als CO₂ freigesetzt und erhöht die Konzentration in der Atmosphäre – ohne Rückkehr in die ursprünglichen Lagerstätten.


Die fossile Einbahnstraße: Einmal freigesetztes CO₂ reichert sich in der Atmosphäre an
CO₂-Äquivalente als Vergleichsmaßstab
Die Emissionsfaktoren in CO₂-Äquivalenten (CO₂e) bilden diesen fundamentalen Unterschied ab. Sie berücksichtigen nicht nur das direkt freigesetzte CO₂, sondern auch vorgelagerte Emissionen aus Förderung, Transport und Verarbeitung der Energieträger. Diese Bewertung ist zwar eine Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, macht aber das Grundprinzip deutlich sichtbar:
- Biomasse/Holz: nahezu CO₂-neutral (0–50 g CO₂e/kWh)
- Erdgas: 200–250 g CO₂e/kWh
- Heizöl: 300–320 g CO₂e/kWh
- Kohle: bis zu 400 g CO₂e/kWh
Die deutlich höhere Bewertung fossiler Energieträger spiegelt wider, dass hier Kohlenstoff aus langfristigen geologischen Speichern mobilisiert wird. Bei Biomasse hingegen wird nur der Kohlenstoff freigesetzt, der zuvor während des Pflanzenwachstums gebunden wurde – der Kreislauf bleibt geschlossen.
Wichtig: Die CO₂e-Bewertung ist eine Vereinfachung, die aber das Grundprinzip eindeutig zeigt: Fossile Energieträger durchbrechen den natürlichen Kohlenstoffkreislauf und werden deshalb mit deutlich höheren Emissionsfaktoren bewertet als regenerative Alternativen.
Die petrochemische Industrie: Kunststoffe im Kohlenstoffkreislauf
Parallelen zur Energiewirtschaft
Die petrochemische Industrie folgt dem gleichen Muster wie die fossile Energiewirtschaft: Auch hier wird geologisch gebundener Kohlenstoff aus Mineralöl mobilisiert, hier wird er jedoch zum Beispiel in Kunststoffe umgewandelt. Die Einbahnstraße zeigt sich dabei in zwei kritischen Varianten:
Szenario 1: Abfallverbrennung
Wenn Kunststoffe am Ende ihres Lebenszyklus thermisch verwertet werden, gelangt der vorher fossil gebundene Kohlenstoff als CO₂ in die Atmosphäre. Genau wie bei der Verbrennung von Energieträgern aus fossilen Quellen wird hier Kohlenstoff freigesetzt, der über Millionen Jahre gebunden war. Der Kreislauf bleibt offen, die Atmosphäre wird mit zusätzlichem CO₂ belastet.
Szenario 2: Umweltverschmutzung
Noch problematischer ist die Situation, wenn Kunststoffe in der Umwelt landen. Hier kommt die Persistenz von Mikroplastik hinzu: Der fossile Kohlenstoff wird auch in diesem Fall nicht zurückgeführt, sondern verbleibt für Jahrhunderte in Böden und Gewässern. Die ökologischen Folgen – von der Kontamination von Nahrungsketten bis zur Schädigung von Ökosystemen – verschärfen die negative Umweltbilanz.


Die petrochemische Einbahnstraße: Von der Erdölförderung zur Abfallverbrennung oder zur Umweltverschmutzung
Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen als Alternative
Biobasierte Kunststoffe wie PLA (Polylactid) aus Maisstärke oder Zuckerrohr durchbrechen diese Einbahnstraße. Sie basieren auf nachwachsenden Rohstoffen, deren Kohlenstoff aus der aktuellen Atmosphäre stammt. Wenn diese Kunststoffe am Lebensende verbrannt werden, gelangt nur das CO₂ zurück in die Atmosphäre, das die Pflanzen zuvor gebunden haben.

Der Kohlenstoffkreislauf bei Kunststoffen: Von der Atmosphäre über Anbau, Herstellung, Nutzung und Abfallverbrennung wieder in die Atmosphäre
(Ökologisch abbaubare Kunststoffe sind auch eine sehr interessante Alternative zur Vermeidung von Plastikabfall in der Umwelt. In diesem Blogbeitrag werden sie jedoch nicht weiter diskutiert, um den Beitrag übersichtlich und kurz zu halten.)
Die Zahlen im Vergleich
Auch bei den Kunststoffen zeigt sich die fossile Einbahnstraße deutlich in den CO₂e-Faktoren. Wie bei den fossilen Energiequellen sind die Emissionswerte von mineralölbasierten Kunststoffen systematisch höher als bei biobasierten Alternativen:
- Biobasierte Kunststoffe (z.B. PLA): 0,5–2,0 kg CO₂e/kg
- Konventionelles PE (Polyethylen): 1,5–3,0 kg CO₂e/kg
- Konventionelles PET: 2,5–4,0 kg CO₂e/kg
- Konventionelles PVC: 2,0–6,0 kg CO₂e/kg
Besonders deutlich wird der Unterschied bei PVC, wo die CO₂-Belastung bis zu dreimal so hoch sein kann als bei biobasierten Alternativen. Diese Bewertung berücksichtigt die gesamte Produktionskette vom Rohstoff bis zum fertigen Kunststoff – und macht sichtbar, dass auch in der Materialwirtschaft die Wahl der Rohstoffbasis über Klimaneutralität und Emissionen entscheidet.
Vergleich von Preisen und CO₂-Emissionen verschiedener Kunststofftypen (PLA Polylactide, PS Polystyrol, PP Polypropylen, ABS Acrylnitril-Butadien-Styrol). Quellen: BAFA, European Bioplastics, FNR, IPCC, NatureWorks LLC, PlasticsEurope Eco-Profiles, UBA, Wikipedia

Parallele zur Energiewirtschaft: Wie bei fossilen Energieträgern zeigt sich auch bei Kunststoffen die Einbahnstraßen-Problematik in deutlich höheren CO₂e-Werten. Die Wahl der nachwachsenden Rohstoffe ist nicht nur eine ökologische, sondern zunehmend auch eine wirtschaftliche Entscheidung.
Zusatznutzen nachwachsender Rohstoffe
Mehr als nur Klimaschutz
Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe (Nawaro) bietet Unternehmen weit mehr als eine verbesserte CO₂-Bilanz. Die Vorteile erstrecken sich über strategische, ökologische und ökonomische Dimensionen:
Strategische Unabhängigkeit
Unabhängigkeit von fossilen Importen: Nachwachsende Rohstoffe können regional erzeugt werden und reduzieren die Abhängigkeit von volatilen Weltmarktpreisen und geopolitischen Risiken. Gerade in Zeiten internationaler Krisen haben sich lokale Lieferketten als resilient erwiesen.
Ökologische Vorteile
Umfassender Umweltschutz: Neben der Klimawirkung bieten nachwachsende Rohstoffe bei nachhaltiger Bewirtschaftung weitere ökologische Vorteile:
- Förderung der Biodiversität durch vielfältige Anbaustrukturen
- Geringerer Wasserverbrauch in der Produktion im Vergleich zu petrochemischen Prozessen
- Bodenschutz durch Humusaufbau und reduzierte Erosion
Ökonomische Chancen
Regionale Wertschöpfung: Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe stärkt den ländlichen Raum durch:
- Arbeitsplätze in Landwirtschaft, Verarbeitung und Logistik
- Innovationspotenzial durch neue Technologien und Geschäftsmodelle
- Kürzere Lieferketten mit höherer Versorgungssicherheit
- Wertschöpfung vor Ort statt Kapitalabfluss


Zusatznutzen nachwachsender Rohstoffe über den Klimaschutz hinaus: Biodiversität, Arbeitsplätze, lokale Werschöpfung und kurze Lieferketten
Langfristige Perspektive
Die Transformation hin zu biobasierten Materialien ist mehr als eine kurzfristige Anpassung an regulatorische Anforderungen. Sie positioniert Unternehmen für eine Zukunft, in der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz zu zentralen Wettbewerbsfaktoren werden. Unternehmen, die frühzeitig auf nachwachsende Rohstoffe setzen, sichern sich:
- Zugang zu wachsenden Märkten für nachhaltige Produkte
- Erfüllung steigender ESG-Anforderungen von Investoren
- Positive Differenzierung im Wettbewerb
- Vorbereitung auf zukünftige CO₂-Bepreisung und Regulierung
Ganzheitlicher Nutzen: Nachwachsende Rohstoffe verbinden Klimaschutz mit strategischer Unabhängigkeit, ökologischen Vorteilen und ökonomischen Chancen – ein Mehrwert, der weit über die reine CO₂-Bilanz hinausgeht.
Fazit: Der Weg zur nachhaltigen umweltfreundlichen Kunststoffwirtschaft
Die petrochemische Industrie steht vor der gleichen Herausforderung wie die Energiewirtschaft: Fossile Rohstoffe führen zu einer Kohlenstoff-Einbahnstraße, während nachwachsende Rohstoffe einen geschlossenen Kreislauf ermöglichen. Diese fundamentale Differenz spiegelt sich in den CO₂e-Faktoren wider und zeigt: Die Wahl der Rohstoffbasis ist entscheidend für die Klimawirkung und die strategische Rohstoffunabhängigkeit.
Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sind dabei mehr als ein ökologisches Nischenprodukt. Sie bieten strategische Unabhängigkeit, handfeste ökologische Vorteile und ökonomische Chancen. Unternehmen, die den Kohlenstoffkreislauf verstehen und nachwachsende Alternativen systematisch integrieren, sichern sich nicht nur Compliance mit zukünftigen Regulierungen, sondern auch echte Wettbewerbsvorteile.
Der erste Schritt ist die transparente Erfassung Ihrer Emissionen nach etablierten Standards wie dem GHG Protocol oder den ISO-Normen 14064 und 14067. Der zweite Schritt ist die systematische Substitution fossiler durch nachwachsende Rohstoffe – wo immer technisch und wirtschaftlich sinnvoll. Der dritte Schritt ist die Kommunikation dieses Mehrwerts an Kunden, Investoren und die Öffentlichkeit.
Dieses und weitere Themen behandeln wir in unseren kostenlosen Austauschtreffen „Nachhaltigkeit in der unternehmerischen Praxis“. Beschreibung und Anmeldung unter:
https://konrad-reif-nachhaltigkeit.de/beschreibung-der-austauschgruppe/
Weiterführende Informationen
Standards und Rahmenwerke:
- GHG Protocol – Der internationale Standard für Carbon Footprints
- ISO 14064-1 – Treibhausgasbilanzierung auf Organisationsebene
- ISO 14067 – Carbon Footprint von Produkten
- Science Based Targets initiative (SBTi) – Wissenschaftsbasierte Klimaziele
- Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative (VCMI) – Scope 3 Guidance
Biobasierte Kunststoffe und nachwachsende Rohstoffe:
- European Bioplastics – Verband der Biokunststoff-Industrie
- Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) – Informationsplattform zu Nawaro
- PlasticsEurope – Eco-Profiles konventioneller Kunststoffe
- NatureWorks LLC – Hersteller von PLA-Biokunststoffen
Energiewirtschaft und Emissionsfaktoren:
- Umweltbundesamt (UBA) – Deutsche Emissionsfaktoren
- International Energy Agency (IEA) – Globale Energiedaten
- International Renewable Energy Agency (IRENA) – Erneuerbare Energien
- Deutsche Energie-Agentur (dena) – Energiewende-Themen
Wissenschaftliche Grundlagen:
- IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) – Klimawissenschaft
- Fraunhofer ISE – Solarenergie und Energiesysteme
- Fraunhofer IEE – Energiewirtschaft und Systemtechnik
Weitere Artikel auf konrad-reif-nachhaltigkeit.de:
- Kohlenstoffzyklus verstehen: Der Schlüssel zum effektiven Carbon Footprint Management
- Analogien der Energiewirtschaft zur Landwirtschaft
- Komponenten und Subsysteme einer Energieversorgung
- Wichtige Unterschiede einer regenerativen Energieversorgung zu einer klassischen fossilen Energieversorgung
Häufig gestellte Fragen
Q: Was ist der Unterschied zwischen fossilen und biobasierten Kunststoffen?
A: Fossile Kunststoffe basieren auf Erdöl und setzen CO2 frei, das über Millionen Jahre gebunden war. Biobasierte Kunststoffe nutzen Kohlenstoff aus nachwachsenden Rohstoffen, der zuvor aus der Atmosphäre aufgenommen wurde – ein geschlossener Kreislauf.
Q: Sind biobasierte Kunststoffe immer biologisch abbaubar?
A: Nein, biobasiert bedeutet nur, dass der Rohstoff aus Biomasse stammt. Biologische Abbaubarkeit ist eine separate Eigenschaft, die zusätzlich gegeben sein kann.
Q: Welche Standards gibt es für Carbon Footprints von Kunststoffen?
A: Die wichtigsten Standards sind das GHG Protocol für Product Carbon Footprints und die ISO 14067 für zertifizierbare Produktbilanzen.


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